Hausbesuch in Thame, Oxfordshire bei Dwina Gibb, der Witwe des 2012 verstorbenen Robin Gibb. Anlass ist die posthume Veröffentlichung von „50 St. Catherine's Drive“, einem Album, das die Bee-Gees-Legende noch zu Lebzeiten aufgenommen hatte. Es ist ein persönliches Werk, benannt nach der Adresse von Gibbs Geburtshaus auf der Isle Of Man. Es erzählt von Stationen seines Lebens und seiner Karriere. In gewisser Weise also passend, dass Dwina Gibb, die gemeinsam mit ihrem Sohn RJ das Album fertigstellte, nun hier, an seiner letzten Adresse, Auskunft über ihren Mann und sein letztes Werk gibt.

Seit 1984 hatte Gibb in dem beeindruckenden, 780 Jahre alten Anwesen, in dem schon die französische Nationalheldin Johanna von Orléans zum Tode verurteilt wurde, mit seiner Frau gelebt. Nun liegt er auf dem Kirchenfriedhof gegenüber begraben. „The Prebendal“, wie das Anwesen heißt, erwarben die Gibbs einst vom letzten Nachkömmling der Rolls-Royce-Familie. Und sie hatten damals einen berühmten Mitbewerber. „Auch Mick Jagger wollte das Haus unbedingt kaufen“, erzählt Dwina Gibb bei einem Rundgang über das Gelände. „Der Vorbesitzer wollte es eigentlich keinem Rockstar überlassen. Aber Robin blieb so hartnäckig, dass er den Zuschlag schließlich doch bekam.“

Dwina und Robin Gibb teilten die Vorliebe für Geschichte und Mythologie. Es ist, als würde man in eine andere Welt abtauchen. Im weitläufigen Garten stehen ein leerer Pool, ein antiker Zigeuner-Wagen und große Steinskulpturen in Form von Hasen, Raben und einem Bär. „Robin machte immer seine Späße damit“, meint Dwina und kann wieder lachen. Im hinteren Teil haben die Gibbs ihr eigenes „Stonehenge“ aufgebaut, in dessen Mitte ein Ahornbaum steht, den Dwina und Robin Gibb zusammen gepflanzt haben.

„Als wir heirateten, feierten wir hier ein riesiges Hippie-Fest. Das waren glückliche Zeiten“, erinnert sich die 61-Jährige. Robin ging gerne im Garten spazieren. Traditionell lud die Familie im Sommer auch immer Freunde zur Teatime ein. „Am liebsten saß Robin draußen auf der Terrasse bei einer Tasse Tee - eingerahmt von seinen zwei Irischen Wolfshunden Ollie und Missy, die zu seinen Füßen saßen.“ Aber er war auch ein Workaholic. „Er arbeitete die ganze Nacht, stand am frühen Nachmittag auf und begann den Tag mit 100 Liegestützen.“

Die vielen Erinnerungen an das einstige Familienoberhaupt sind schön, aber ein wenig erdrückend. Das zeigt sich auch in der kleinen Kapelle neben dem Hauptgebäude, in dem die Nachtwache für Robin Gibb gehalten wurde. Dwina hat an die Wand Beileidsbekundungen und Zeichnungen von Fans aus aller Welt gepinnt. „Es kommen heute noch Karten. Ich tausche sie hin und wieder aus“, meint sie. Wegzuziehen, um der Vergangenheit zu entfliehen, käme für sie nicht in Frage - im Gegenteil: „Wir haben alles so belassen, wie es zu Robins Lebzeiten war. Wir haben noch die Bücher, in die er seine Songtexte schrieb, seinen weißen Flügel, seine Kleidung, Brillen und seinen Hut. Wir bewahren alles auf.“

Ihr Sohn Robin-John, der im vorderen Komplex des Hauses lebt, stellt sich vor. Der in Schwarz gekleidete, junge Mann hat nichts von der hageren Erscheinung seines Daddys. „Eigentlich wollte er das Album schon 2008 herausbringen“, weiß er. „Aber kurz vor der Fertigstellung hatte er den dringlichen Wunsch, wieder mit seinem Bruder Barry als Bee Gees aufzutreten. Er stellte die Veröffentlichung seines Soloalbums also zurück, um diesen Wunsch weiterzuverfolgen. Es kam leider nicht mehr dazu, er erkrankte an Krebs.“ Nach seiner Diagnose soll Robin Gibbs größte Sorge gewesen sein, dass die Zusammenarbeit mit seinem geliebten Bruder nicht mehr passieren würde. „Es war nun mal sein größter Wunsch, er sprach jeden Tag davon“, erinnert sich sein Sohn.

Robin-John hat dem Album jüngst den letzten Schliff im Studio gegeben, mit Ausnahme von einem Titel: Das rührende Stück „Sydney“, das Robin ein Jahr vor seinem Tod oben im Schlafzimmer mit brüchiger Stimme auf dem iPad aufgenommen hatte, war eigentlich als Duett mit Barry geplant und wurde in der Demoversion belassen. „Es ist ein Lied von Robin über die guten Zeiten zusammen mit seinen vier Brüdern in Australien“, meint Dwina. Barry Gibb, der von seinem Bruder am Sterbebett Abschied nahm, ist nun der einzige verbliebene Gibb-Bruder. Trotz der Tragik ist das letzte Album von Robin Gibb ein ziemlich poppiges, aufmunterndes Werk für einen Toten. Und es ist gespickt mit vielen persönlichen Erinnerungen: „Robin und ich haben beide am 22. Dezember Geburtstag. Und trotzdem hat er den Tag oftmals vergessen. Er entschuldigte sich mit dem Lied 'Anniversary' bei mir“, erzählt Dwina.

War es für ein schmerzvoller Prozess, sich mit dem musikalischen Vermächtnis zu beschäftigen? „Schon, weil er nicht mehr hier ist. Andererseits war es aber auch eine Freude und Ehre, seinen letzten Wünschen nachzukommen“, sagt Robin-John. Im Gegensatz zu seinem Vater hat er eine klassische Musikausbildung, studierte Violine und Piano. Bis kurz vor Gibb Seniors Tod werkelten beide noch an dem „Titanic Requiem“ zum 100. Jahrestag des Untergangs der Titanic. „Es sollte zu seinem eigenen Requiem werden. Es tat weh, das mitanzusehen, aber Robin hatte viel Spaß bei der Arbeit“, meint Dwina.

Bei der Uraufführung des Stückes im April 2012 in London lag er bereits im Koma. Dwina: „Wir hatten alle bis zum Schluss Hoffnung. Ãœber den Tod wollte Robin sowieso nie sprechen. Er wollte auch nicht, dass die Ärzte ihm sagten, welche Lebenserwartung er noch hätte. Er wollte keine Tränen um sich herum.“ Im Gegenteil: In seinen letzten Lebensmonaten wollte Robin Gibb Comedys gucken und lachen. „Wir brachten ihm die Marx Brothers auf DVD ins Krankenhaus. Er guckte Jack Black, der Film 'Gullivers Reisen' war der letzte, den er gesehen hat.“

Als Robin Gibb schließlich seinem Krebsleiden erlag, war seine ganze Familie bei ihm. Auch seine hochbetagte Mutter Barbara, die mitansehen musste, wie sie einen weiteren Sohn verlor. „Es gab keinen Todeskampf oder so. Alles war ganz friedlich, auf gewisse Weise sogar spirituell“, meint Dwina. „Aber die Monate danach waren natürlich sehr schlimm für uns als Familie.“ Vergessen wird er niemals sein. Eine Gedenktafel am Torbogen der „Prebendal“ erinnert an den großen Musiker.
Manchmal spukt Robin Gibb Frau und Sohn auch noch durch die Träume. „Die Monate nach seinem Tod träumte ich sehr lebendig von ihm“, so Robin-John. Und Dwina fügt hinzu: „Zwei Tage bevor sein Hund Ollie im Frühjahr starb, hatte ich einen sehr intensiven Traum. Robin schien etwas besorgt. Er legte den Arm um mich und sagte, dass er mich liebt. Es war fast so, als wollte er mich trösten, bevor es passierte.“

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